DAS JAKOB-IMIG-ARCHIV IN LOUISENDORF
EINE INSELSPRACHE AM NIEDERRHEIN


Überleben auf der Heide
Da unsere rund 130 Emigranten die geforderten Papiere nicht vorweisen konnten, mussten sie sich notgedrungen diesseits der Grenze niederlassen, im niederrheinischen Herzogtum Kleve, das damals zum Königreich Preußen gehörte. Preußen reagierte keineswegs ablehnend auf die Bitte um "ein Stück wüst Land zur Bebauung und Bewohnung". Es förderte solche Ansiedlungen sogar, sollten die Kolonisten doch helfen, die riesigen Heiden fruchtbar zu machen, die vielerorts durch die völlige Übernutzung der Wälder entstanden waren. In unserem Fall war es die Gocher Heide, wo die Flächen für die Gründung des Ortes "Pfalzdorf" zur Verfügung gestellt wurden. Es war nicht leicht, auf dem kargen Land zu überleben, aber die Auswanderer meisterten die Herausforderung. Nach einigen Jahrzehnten entstanden sogar Tochtergründungen von Pfalzdorf: Louisendorf und Neulouisendorf. Ersteres wurde 1820 gegründet, um auch "dem verödeten Kalkarer Waldstriche eine ehrenvolle und ersprießliche Gestalt" zu geben. Der Ortsname erinnerte dabei an die zehn Jahre zuvor verstorbene Gemahlin König Friedrich Wilhelms III.: Königin Luise. Sie war eine preußische Legende, die 1807 durch ihr Auftreten sogar Napoleon beeindruckt hatte, von dem Preußen kurz zuvor militärisch besiegt worden war. Der französische Kaiser fand sie gar "bezaubernd".
"Friejohr" in Louisendorf
In ihre neue Heimat hatten die Auswanderer auch ihren Dialekt mitgebracht. Seine Wurzeln liegen in etwas nördlicheren Gefilden als das Pfälzisch, an das man heute normalerweise denkt, reichte die historische Kurpfalz doch hinauf bis zum Hunsrück. Weil die protestantischen Kolonisten lange Zeit fast nur untereinander heirateten, ging ihr "Pälzersch" in der niederrheinisch-katholischen Umgebung nicht unter. Inzwischen sind die Konfessionen liberaler geworden, dafür kümmert sich seit 1955 der "Pfälzerbund am Niederrhein" um die sprachlichen Traditionen. Gründer war Jakob Imig (1905 – 94), ein Landwirt aus Louisendorf, der auch schriftstellerisch tätig war. Er verfasste viele Beiträge zu historischen Themen und schrieb Lyrik wie etwa das Gedicht "Friejohr", wo es über das "errschte Grien" heißt: "Die Welt werrd scheener werre alle Daache." Sprachproben von Jakob Imig findet man auf der Internetseite des Rheinischen Instituts für Landeskunde und Regionalgeschichte. 2004 wurde in Louisendorf das "Jakob-Imig-Archiv" gegründet. Es sammelt Lyrik und Prosawerke, historische Aufsätze und Beiträge zur Familienforschung, zudem finden hier auch Vorträge statt. Während der Öffnungszeiten kann man verschiedene Schriften erwerben – darunter natürlich auch die Werke von Jakob Imig. Sie sind für die Dialektinsel von heraus ragender Bedeutung. Sogar die "Gesellschaft für bedrohte Sprachen" hat schon Wissenschaftler entsandt, um sich Imigs Gedichte von Einheimischen vortragen zu lassen.

Der Ortsgrundriss von Louisendorf mitsamt seinen historischen Bauten ist seit 2002 als Denkmalbereich ausgewiesen. Das Wort "Geschichtszahlen" hat hier eine ganz eigene Bedeutung: 205 mal 205 Meter groß ist der Dorfplatz. In der Mitte thront die Elisabethkirche, auch sie nach einer preußischen Königin benannt. Von den vier Ecken des Kirchplatzes gehen vier Straßen ab. Das Gotteshaus wird von 34 Linden eingefasst – kein Zufall, starb Königin Luise (Bild) doch mit nur 34 Jahren. Um den Dorfplatz gruppieren sich weitere 99 Linden – der hundertste Baum war die 1897 gepflanzte, inzwischen nicht mehr existierende Kaisereiche, deren ehemaliger Standort noch durch eine farbliche Absetzung im Straßenpflaster zu erkennen ist.
Stand der Angaben: Stiftungsmagazin 2/2013
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