DAS ÉPANCHOIR IN NEUSS
KREUZUNG DER GESCHICHTE


Haben Sie je vom "heiligen Napoleon" gehört? Ein christlicher Märtyrer aus dem vierten Jahrhundert, dessen Name von "Neopolus" zu Napoleon umgedeutet wurde, diente in Frankreich vor gut 200 Jahren als Vorwand für einen Kult, bei dem man die Verwechslung mit dem realen Kaiser Napoleon absichtsvoll in Kauf nahm. Als einzige deutsche Kirche wurde dem gefälschten Heiligen 1803 die Pfarrkirche im niederrheinischen Neersen geweiht. Es ist ein kurioser Zufall, dass ausgerechnet Neersen später auch zur Endstation des Napoleonskanals wurde, der doch eigentlich bis nach Antwerpen hatte führen sollen. Schiffbar machte man in Deutschland aber – Jahre nach dem Sturz Napoleons – nur den 16 Kilometer langen Streckenabschnitt zwischen Neuss und Neersen. Immerhin: 1846 konnte man hier sogar per "Eil-Yacht" verkehren. Die Schiffe wurden von Pferden gezogen, die die Uferwege entlangliefen. "Treideln" nennt das der Kenner.
Grossprojekt mit Vorläufern
Ursprünglich sollte der Kanal rund 200 Kilometer lang sein. Die Fahrrinne war mit 22 Metern für damalige Verhältnisse außerordentlich breit bemessen, zahlreiche Schleusen und andere Spezialbauwerke gehörten mit zum Plan. Ziel des Projekts, dessen Realisierung 1809 begann, war eine Schiffsverbindung vom Rhein zur Nordsee ausschließlich über französisch beherrschtes Gebiet. Als allerdings schon kurz nach Baubeginn auch die Niederlande unter französische Herrschaft kamen, wurde der Kanal überflüssig, und Napoleon verlor prompt das Interesse daran. 1811 wurden die Arbeiten eingestellt. Es war nicht das erste gescheiterte Vorhaben dieser Art. Schon im 17. Jahrhundert sollte die sogenannte "Fossa Eugeniana" – benannt nach der habsburgischen Regentin Eugenia – Rhein, Maas und Schelde vernetzen, wurde aber ebenfalls nie vollendet.


Modellhafter Plan
Kann so eine Wasserkreuzung überhaupt funktionieren? Klaus Karl Kaster, stellvertretender Vorsitzender des "Vereins der Freunde und Förderer des Nordkanals", verweist auf die geniale Konstruktion: Sie bestand aus zwei Teilen, dem "Prise d’eau", sprich: dem Einlassbau, auf der Südseite des Kanals und dem "Épanchoir", dem Entlastungsbau auf der Nordseite, wo das Wasser zur Obererft hin wieder austrat. Trichterförmige Mündungen beruhigten die Querströmung. Der Entlastungsbau hatte zudem eine Doppelfunktion: Er besaß neben zwei Überlaufwehren auch zwei mit sogenannten "Schützen" verschließbare Öffnungen, mit denen sich der Zulauf zu den Neusser Mühlen gezielt regulieren ließ. Zugleich konnte man so auch den Wasserstand im Kanal stabilisieren und zwei Schleusen zum Rhein hin versorgen. In Neuss erinnern noch andere Relikte an den Nordkanal, so ein Kanalwärterhäuschen und das sogenannte "Empellement", ein weiteres Wehr. Aber das Épanchoir ist zweifellos der bedeutendste Überrest. Der Förderverein möchte es daher nicht nur restaurieren, sondern seine Funktionsweise künftig auch in einem Infopunkt erläutern – inklusive eines Modells, in dem tatsächlich Wasser fließt. Eine weitere Vision: Auf begrenzter Fläche könnte auch die heute nicht mehr erlebbare Breite des alten Nordkanals wieder anschaulich gemacht werden. In Zeiten knapper Mittel sind das ehrgeizige Ziele, aber das Épanchoir beweist ja: An Querströmungen muss man nicht scheitern.

Per Drahtesel auf Kanalreise
Als der Vorläufer unseres Fahrrades – die Draisine – 1817 erfunden wurde, war Napoleon zwar schon zwei Jahre lang endgültig besiegt. Doch das ist kein Grund, die "Fietsallee" zu verpassen, eine Radroute, die sich am Verlauf des Nordkanals orientiert und dabei alle am Bau der Wasserstraße beteiligten Orte berührt. 2009 wurde die "Fietsallee am Nordkanal" zur Radroute des Jahres gekürt. Mehr unter: www.niederrhein-tourismus.de/1096/Fietsallee_am_nordkanal.html und www.nordkanal.netStand der Angaben: Stiftungsmagazin 2/2013
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