WUNDERWELT DECHENHÖHLE
ABSTIEG IN EINE ZAUBERWELT


Größe ist nicht alles, lernt man hier. So konnten etwa eiszeitliche Höhlenbären zwar bis zu dreieinhalb Meter groß werden und sie überragten damit ihre Verwandten, die Braunbären, bei Weitem. Aber sie sind ebenso ausgestorben wie die mähnenlosen Höhlenlöwen, die größer waren als heutige Löwen. Doch zu den bedeutendsten Schätzen der Dechenhöhle gehört ein sehr kleines Skelett von kaum 30 Zentimetern Länge – der 150.000 Jahre alte Rest eines Höhlenbärenbabys, das offenbar nur wenige Tage gelebt hat. Wie es als erwachsenes Tier ausgesehen hätte, zeigt eins von mehreren lebensgroßen Modellen, die im Höhlenmuseum die eiszeitliche Tierwelt veranschaulichen. Man lernt dabei, dass die "Höhle des Löwen" in der Eiszeit eher ein Platz für Bären war. Denn die hielten in Höhlen regelmäßig ihren langen Winterschlaf ab, während es Höhlenlöwen – trotz ihres Namens – nur gelegentlich dorthin verschlug.
"Bärenschliff" nennt man es, wenn die Höhlenbären an unterirdischen Felswänden Kratz- und Schleifspuren hinterlassen haben. Es erscheint fast unglaublich, dass man solche Spuren heute noch finden kann, sind ihre Verursacher doch bereits vor 16.000 Jahren ausgestorben. Aber das Denken in großen Zeiträumen ist eine Bedingung für die Beschäftigung mit Höhlen: So wächst etwa ein Tropfstein in zehn Jahren nur einen einzigen Millimeter! Die meterhohen Gebilde, bei denen sich die nach unten wachsenden Stalaktiten mit den emporstrebenden Stalagmiten irgendwann zu einer "Säule" verbinden, sind also immer viele Jahrtausende alt – nicht selten sogar mehrere Hunderttausend Jahre. Denn Tropfsteine stellen ihr durch Kalkablagerung verursachtes Wachstum in langen Kälteperioden oft ganz ein.
Museum mit Tiefe


Ihr Plan: In der leer stehenden Gaststätte "Haus Dechenhöhle" sollte eine größere und schönere Ausstellung entstehen. Engagement und viel Eigenleistung des Vereins sorgten dafür, dass das neue Museum dann im Juni 2006 eröffnet werden konnte.
Die Höhlenexperten Stefan Niggemann und Elmar Hammerschmidt haben seitdem die Aufgabe übernommen, den laufenden Betrieb praktisch allein aus Eintrittsgeldern zu bestreiten. Dahinter steckt der Wunsch, Wissenschaft und Wissensvermittlung mit dem Erhalt eines echten "Klassikers" unter den NRW-Ausflugszielen zu verbinden. Von den 300.000 Besuchern, die in der Nachkriegszeit alljährlich zur Dechenhöhle kamen, können die beiden Museumsbetreiber heute zwar nur noch träumen. Die Konkurrenz der Freizeitangebote ist immer größer geworden. Doch 60.000 Menschen sind es nach wie vor, die Jahr für Jahr den Weg zu einer der schönsten Höhlen Deutschlands finden, um hier unterirdische Wunder wie die "Kapelle", die "Kristallgrotte" oder die "Wolfsschlucht" zu bestaunen.
Das neue Museum "vertieft" das Ausflugserlebnis im wahrsten Sinne des Wortes. Es spannt einen weiten Informationsbogen: von den gigantischsten Hohlräumen der Welt wie der 2.000 Meter tiefen Krubera-Höhle in Georgien über eindrucksvolle Reproduktionen steinzeitlicher Malereien bis hin zur sprichwörtlichen "Räuberhöhle", in der lichtscheue Dunkelmänner und Falschmünzer ihren verborgenen Geschäften nachgingen. Den Kindern gilt im Museum besondere Aufmerksamkeit. Bei Gruppenterminen dürfen sie sich im Labor etwa als kleine Forscher betätigen und bei Geburtstagsprogrammen auch einmal die Nebengänge der Dechenhöhle erkunden.
Zahlreiche Sonderveranstaltungen, deren Niveau alles andere als "unterirdisch" ist, locken auch die Erwachsenen. Dazu gehören etwa Konzerte, die die Dechenhöhle zu einem magischen Klangraum machen. Bei alldem sollte man allerdings nicht vergessen, dass auch diese Höhle in erster Linie ein wertvolles Naturdenkmal ist. Als "Schauhöhle" wirbt sie für den Erhalt unschätzbarer Zeugnisse der Erdgeschichte und sorgt zugleich für eine Kanalisierung des Besucherinteresses, denn die meisten Höhlen sind, um sie vor Schäden zu bewahren, öffentlich gar nicht zugänglich.
Für Damen empfohlen
Zwar lehrte schon der griechische Philosoph Platon Erkenntnistheorie gerne anhand seines viel zitierten Höhlengleichnisses. Zum Publikumsmagneten wurden die unterirdischen Welten aber erst sehr viel später. Einer der ersten "Höhlentouristen" hieß Johann Wolfgang von Goethe. 1776 ließ er sich die berühmte Baumannshöhle im Harz zeigen. "Ich fühlte mich dadurch gar schön bereichert", schrieb er noch Jahrzehnte später. Nachdem man 1868 bei Arbeiten an der Bahnstrecke Letmathe-Iserlohn auf die Dechenhöhle gestoßen war, fanden sich auch hier schnell bekannte Namen ein.
Zu ihnen gehörte Johann Carl Fuhlrott, der Entdecker des Neandertalers, der auf neue Funde hoffte. Doch Spuren früher menschlicher Anwesenheit sind in der Dechenhöhle bislang nicht aufgetaucht, anders als in der nahe gelegenen Sonderhorst-Spaltenhöhle, in der diese Spuren allerdings auch "nur" bis in die Bronzezeit zurückreichen.
Heutzutage ist "menschliche Anwesenheit" in der Dechenhöhle – die ihren Namen übrigens dem Geologen Heinrich von Dechen (1800–1889) verdankt – gang und gäbe. Schon bald nachdem sie bekannt geworden war, strömten viele Neugierige herbei. Um zu vermeiden, dass sie ihr Sightseeing ebenso wie Goethe in der Baumannshöhle teilweise auf dem Bauch kriechend absolvieren mussten, ließ man die Dechenhöhle rasch ausbauen und beleuchten, sodass fortan die Besichtigung "auch für Damen empfohlen" werden konnte. Dem kann man sich nach wie vor anschließen, verbunden mit dem Hinweis, dass das neu eröffnete Höhlenmuseum eine ebenso herzliche Empfehlung verdient – und zwar durchaus auch für Herren.

Wer Höhlen liebt, muss deshalb nicht ständig in Spelunken sitzen – auch wenn das lateinische "spelunca" oder "spelaeum" so viel wie "Höhle" bedeutet. Stattdessen könnte er Mitglied in einem Verein werden wie z.B. der "Speläogruppe Letmathe", die ihren Sitz an der Dechenhöhle hat und sich seit 1976 der Höhlenwissenschaft und dem Höhlenschutz widmet. Eigentlich aber sind "Höhlenliebende" überhaupt keine Menschen, sondern jene Tierarten, die größere unterirdische Hohlräume häufig aufsuchen, ohne jedoch ausschließlich darin zu leben – Fledermäuse beispielsweise. Echte "Höhlentiere" hingegen verlassen ihren völlig lichtlosen Lebensraum nie. Ihre Augen sind daher weitgehend zurückgebildet, so wie bei den kleinen Höhlensalmlern, die man im Deutschen Höhlenmuseum in einem Aquarium betrachten kann: Trotz ihres fehlenden Sehvermögens können sich diese Fische exzellent orientieren – u.a. anhand der Wasserdruckverhältnisse.
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